Die Ersterwähnung von Uster: 775 erfolgten in Uster drei Schenkungen an das Kloster St. Gallen. Davon ist nur noch die oben abgebildete Urkunde im Stiftsarchiv St Gallen als Original erhalten geblieben (Original: StiASG, I 50 – www.stiftsarchiv.sg.ch/). Die Urkunden wurden damals nicht mit einem Siegel versehen, sondern vom Schreiber unterschrieben (unten rechts). |
Die zweite Erwähnung von Riedikon und Nänikon in einer Urkunde von 744 (StiASG, Bremen 2 – www.stiftsarchiv.sg.ch/). Die Urkunde von 741, in welcher beide Orte erstmals genannt werden, ist nicht im Original, sondern nur in Abschriften erhalten. |
II. Auch die
Forschung hat eine
Geschichte
Die Erforschung unserer
Vergangenheit macht kontinuierlich Fortschritte und verfeinert sich
immer mehr. Jede Generation stellt neue Fragen an die Geschichte. Durch
deren Beantwortung kommt die Forschung weiter. Demnach besitzt auch die
Forschung eine Geschichte, welche man sich vereinfacht folgendermassen
vorstellen kann.
Das 19. Jh. war die Zeit, in der
Pioniere alte Archive durchwühlten und alte Schriftstücke in Büchern
publizierten (Geschichtswissenschaft). Ebenfalls im 19. Jh. fanden die
ersten wissenschaftlichen Ausgrabungen von „Altertümern“ statt
(Archäologie).
Die Urkunden und Dokumente wurden
durch die Erstellung von Archivverzeichnissen erschlossen und in
Buchform (Editionen) in zahlreichen Bibliotheken zugänglich gemacht.
Dennoch gelangte das Gros der Archivbestände nur als Zusammenfassung –
als sogenannte Regesten – in gedruckte Bücher oder wurde gar nicht erst
gedruckt, wodurch sie nur im jeweiligen Archivverzeichnis an Ort und
Stelle eruierbar sind. Wäre dieser Arbeitsschritt nie vollbracht worden,
wüsste der Historiker nicht, was in einem Archiv alles zu finden ist. –
Für den Kanton Zürich wurden die meisten Schriftstücke bis 1336
gedruckt. Danach findet man die wenigsten Schriftstücke in einem Buch.
Hingegen sind die Urkunden des Staatsarchivs Zürich bis ins 15. Jh. in
gedruckten Büchern zusammengefasst (Regesten). – Die Archäologie musste
sich ihrerseits darüber klar werden, was man alles im Boden aufdecken
könnte und wie man den Funden umgehen sollte. Unter diesen Pionieren
sind z.B. Georg Friedrich von Wyss (Geschichte) und Ferdinand Keller
(Archäologie) zu nennen.
Das 19. Jh. war vor allem eine Zeit
des Sammelns, Entdeckens und Zusammenstellens von alten Dokumenten,
Gegenständen etc. sowie des Aufsuchens und Beschreibens von alten
Bauten, Ruinen etc. Man fragte sich, wie man die Relikte früherer Zeiten
verstehen und zu einer Geschichte zusammenbringen sollte. Nach der Zeit
der Entdeckungspioniere des 19. Jh. folgte – ohne abrupten Bruch,
sondern mit fliessendem Übergang – eine erste Phase des
Geschichtsschreibens und des Versuchs die Geschichte wissenschaftlich zu
erforschen. Dieser Abschnitt war so etwas wie eine Zeit des
Ausprobierens und der Entwicklung von Theorien. Es war die Pionierphase
der modernen Geschichtsforschung. Damals – insofern man frühere Pioniere
ausser Acht lässt – wurden die Schriftquellen zum ersten Mal zu einem
bestimmten Thema befragt und daraus erste Erkenntnisse gewonnen. Zu
dieser Phase kann man auch Paul Kläuis Buch zur Geschichte der Gemeinde
Uster zählen (1964).
Die dritte Phase ist die weitere
Auseinandersetzung und die Hinterfragung der bisherigen Theorien und
Ideen. Dabei wurden nicht nur neue Fragen an die Geschichte gestellt und
neue Ideen aufgegriffen, sondern auch alte Theorie-Gebäude hinterfragt
und zum Teil widerlegt. So hat sich neuerdings das schweizerische
Geschichtsbild der Habsburger geändert. Bis anhin galten sie im
Gegensatz zu den "guten", für ihre Freiheit kämpfenden Eidgenossen als
böse Menschen. Nur in Muri, wo ihr altes Hauskloster steht, und in
Habsburg selbst wurde die Dynastie wohlwollend akzeptiert. Diese
Auffassung hat sich geändert: Ein neues Buch zu den Habsburgern als
Dynastie aus der Schweiz und ein weiteres mit dem Titel „Gründungszeit
ohne Eidgenossen“ finden nun grossen Anklang bei den Lesern.
Ebenso wurden ein Teil der Theorien
Paul Kläuis zu Uster und der Ostschweiz widerlegt. Paul Kläui hatte 1964
– vor also bald 50 Jahren – eine gründliche Ortsgeschichte Usters
vorgelegt. Sie bildet dank ihrer Gründlichkeit und Detailfülle immer
noch eine sehr gute Grundlage für neue Forschungen. Hingegen gelten ein
Teil der Schlüsse und Theorien Kläuis als überholt. Dies gilt
insbesondere für die quellenarme Zeit vor dem Spätmittelalter. Die dünne
Quellenbasis überbrückte Kläui mit Theorien, die zu seiner Zeit
womöglich als genial angesehen wurden, heute jedoch durch die ihr zu
Grunde liegenden simplifizierenden Annahmen als falsch betrachtet werden
müssen. Der Anerkennung der damaligen Leistung Kläuis wird dadurch
jedoch kaum einen Abbruch gemacht, insofern der Forscher die nun
überholten Ideen stets im Auge behält.
Die Frühzeit von Uster wird im
Folgenden kurz geschildert und zwar im Vergleich zu den von Kläui
dargelegten Ergebnissen. Dabei soll dem Leser vor Augen geführt werden,
wie sich die Geschichtsschreibung in rund 50 Jahren wandeln kann.
Erst eine weitere
Historiker-Generation wird feststellen können, welche Dinge, die für uns
heute normal sind, später nicht mehr als Normalität betrachtet werden.
Werte und Vorstellungen ändern sich. Eine Generation lebt mit ihren
Werten und Vorstellungen, die nächste Generation erkennt diese als
nicht-zwingende Annahmen und stellt sie in Frage.
Das 1964 erschienene Buch Paul
Kläuis stellt den damaligen Stand der Forschung exemplarisch dar und
zeugt von Kläuis ausgezeichneten Kenntnissen der lokalen Verhältnisse
in der Vergangenheit, welche er sich nur dank ausgiebigen Recherchen
in Archiven, Büchern etc. mühselig erarbeitet hat. Dennoch wird Kläui
von Forschungstheorien und -ideen beeinflusst, die heutzutage überholt
sind. Das stellt die grundlegende Bedeutung seines Buches – schon nur
für an Uster interessierte Forscher – als brauchbares Nachschlagewerk
nicht in Frage. Nur sollte man es wie jedes andere Buch kritisch
lesen. Wir werden nun die frühe Zeit von Uster im Vergleich zu Kläuis
Ergebnis anschauen. Es geht darum, zu sehen, wie Kläui die Besiedlung
von Uster beschreibt. Einige Ansichten lassen wir – vielleicht mit ein
paar Ergänzungen – stehen. Anderes wird korrigiert.
Kläui beginnt, wie man es
vielleicht erwartet, mit dem Ende der Eiszeit und der darauf folgenden
Besiedlung während der Steinzeit.
Die
Steinzeit – Kläui ist genau
1.
Von der Urzeit bis zu den Römern
Die
Frühzeit
Als
sich
vor rund 10 000 Jahren die Gletscher der letzten Eiszeit
zurückgezogen hatten und auch die isolierten Eismassen, die
stellenweise zurückgeblieben waren, geschmolzen waren, füllten
sich deren Wannen mit Wasser. Es entstanden die größeren und
kleineren Seen des Zürcher Oberlandes mit weiten Sumpfzonen.
Dennoch rückten die ersten Menschen – wir wissen nicht woher – in
diesem Gebiet ein. Da sie als Fischer und Jäger lebten und keinen
Ackerbau trieben, wichen sie den Sumpfgebieten nicht aus, vielmehr
waren ihnen sumpfige Seeufer willkommen für ihre Wohnplätze. Nur
sehr spärliche Funde zeugen von diesen Leuten, die der etwa von
8000 bis 3000 v. Chr. dauernden mittleren Steinzeit angehörten.
Aus dem Gebiet des Greifensees sind an Funden zu nennen: Mehrere
Feuersteinklingen (Silex), die am nördlichen Seeufer zutage kamen,
und zwei Silexstücke, die nach Angabe des Finders vom Seefeld
Uster und von Riedikon stammen. 1937 wurden bei Riedikon einige
kleine Werkzeuge entdeckt.
Die
Jungsteinzeit
Erst
nach
der mittleren Steinzeit, etwa von Beginn des 3. vorchristlichen
Jahrtausends an, entfaltete sich am Greifensee ein reges Leben.
Greifensee und Pfäffikersee bildeten die südlichsten Ausläufer der
Besiedlung, die sich vom Rhein glattaufwärts zog.
[…]
Rund
um den See sind eine ganze Reihe von Pfahlbauten entdeckt, aber
nicht genauer untersucht worden.“
Auszug
aus
Kläui, Paul: Geschichte der Gemeinde Uster, Zürich 1964, S. 13.
In der oben abgedruckten Passage
ist ersichtlich, wie genau Kläui arbeitete und wie er alle bekannten
Details zusammentrug. Ein Teil der von ihm genannten archäologischen
Funde sind in seinem Buch auch als Bilder zu finden. Kläui schildert
uns im Auszug das Bild einer idyllischen Naturlandschaft, die nach dem
Rückzug der Gletscher, welche grosse Teile der heutigen Schweiz
bedeckt hatten, vom Menschen besiedelt wurde. Woher die Menschen
kamen, wissen wir nicht. Zumal die Alpen noch von Eismassen bedeckt
waren, werden sie kaum aus den Bergen gekommen sein. Vor der letzten
Eiszeit, die man gemeinhin nach einem Fluss „Würm-Eiszeit“ nennt, kann
es durchaus schon eine menschliche Besiedlung in unserem Raum gegeben
haben, welche dann durch die Eiszeit ihr Ende fand. Doch sind die
Spuren einer solchen Besiedlung nur schwer zu entdecken, zumal die
Gletscher der letzten Eiszeit das Gelände neu geformt haben: Gletscher
lagern massenweise Material (Steine, Sand etc.) ab, das sie aus den
Bergen mittransportieren (Diese Ablagerungen nennt man Moränen.). Dank
den im Eis eingeschlossenen Steinen vermögen Gletscher all das, was
ihnen in den Weg kommt, abzukratzen (z.B. Felsen) und
wegzutransportieren. Archäologische Zeugnisse wären also irgendwo tief
im Gletscherschutt, womöglich völlig zertrümmert und klein gemahlen
nur mit grossem Glück zu finden.
Seit 1964 sind zahlreiche Funde
gemacht worden. Insbesondere wurden in unserem Raum in den letzten
Jahrzehnten etliche Pfahlbausiedlungen entdeckt und archäologisch
untersucht. Immer wieder wurde eine neue Siedlung anstelle einer
älteren errichtet. Es scheint, dass die Pfahlbauer ihre Häuser gar
nicht im Wasser auf Pfählen errichtet haben, wie dies im 19. Jh.
angenommen wurde und auf zahlreichen Gemälden zu sehen ist, sondern am
Seeufer. Die Idee, sie hätten ihre Häuser auf dem Wasser erbaut, kommt
daher, dass die Dörfer bei einem tieferen Seespiegel angelegt worden
waren als zur Zeit ihrer Entdeckung. Wegen dem heute höheren
Wasserspiegel fanden die Archäologen die Pfähle der Häuser im Wasser.
Deswegen waren die Pfähle gut konserviert.
Genaueres über die Steinzeit und
die Zeit der Pfahlbauer (Jungsteinzeit oder Neolithikum), wollen wir
hier nicht berichten, zumal dies weniger Sache einer Ortsgeschichte
ist, als viel eher ein eigenständiges Thema darstellt, das für die
ganze Gegend und nicht für jeden Ort einzeln behandelt werden muss.
Den Pfahlbauern wurde vor rund 20
Jahren eine Freiluft-Ausstellung (Pfahlbauland) in Zürich am See
gewidmet, welche auf grosses Interesse stiess. Seitdem gibt es immer
wieder neue Bücher zu den Pfahlbauern und der Steinzeit. Zu
Pfahlbauten in nächster Gegend ist der entsprechende Ausschnitt aus
dem Buch von Beat Frei zur Geschichte von Greifensee für jedermann
interessant.
Wir nehmen aus dem Textauszug von
Kläui folgendes mit: Greifensee
und Pfäffikersee bildeten die südlichsten Ausläufer der Besiedlung,
die sich vom Rhein glattaufwärts zog.
Mit diesem Satz platziert er die Gegend
von Uster in die Randzone der von Menschen besiedelten Zonen – was
übrigens nicht bewiesen ist, zumal seit 1964 durchaus weitere Funde
gemacht wurden und werden. Dieser Satz wird uns noch interessieren.
Bis
zu den Römern – Kläui ist tendenziös.
Auszug
aus
Kläui, Uster, S. 18–19, unter dem Titel „Die Kelten“:
„In
der
Eisenzeit, die um 800 bis 750 v. Chr. Beginnt, war der besiedelte
Raum viel kleiner geworden und reichte nicht mehr in die
Alpentäler, denn das Klima hatte sich verschlechtert, so dass
höher gelegene Täler zu unwirtlich wurden. Aber auch die Seeufer
mied man jetzt; man baute die Häuser auf festen Grund.
[…]
In
der Eisenzeit liegt das Greifenseegebiet allerdings am Rande der
Besiedlungszone, während, nach Ausweis der Funde, die Gegend um
den Pfäffikersee (vor allem in der älteren Eisenzeit) noch eine
intensive Besiedlung kannte. Das dürfte damit zusammenhängen, dass
schon damals ein Verkehrsweg vom Rhein nach dem oberen Zürichsee
führte, der etwa der späteren Römerstrasse entsprochen hat. Das
Greifenseegebiet mit seinen weiten Sumpfzonen scheint von einem
Volk, das nicht mehr in erster Linie die Seeufer aufsuchte,
gemieden worden zu sein. In der älteren Eisenzeit, der sogenannten
Hallstattzeit von 800 bis 500 v. Chr., reichte die Besiedlung nur
gerade bis an den Nordrand des Sees. Aus dem Gebiet von Uster sind
aus diesen Jahrhunderten keinerlei Funde zu verzeichnen.
[…
// …]
Daß
der
Name Uster keltischen Ursprungs wäre, wie schon behauptet worden
ist, läßt sich nicht beweisen. Die Ableitung aus dem keltischen
Wort «ukustro», das «oben», «oberhalb» bedeutet, ist schon deshalb
ausgeschlossen, weil – wie wir sehen werden – die erste Siedlung
unten am Aabach und nicht auf dem Burghügel lag.
Es
scheint also, dass das Gebiet von Uster in der Zeit, da die
keltischen Helvetier im schweizerischen Mittelland wohnten, nicht
oder nur ganz spärlich besiedelt gewesen ist. Beim Auszug der
Helvetier nach dem Süden und bei der Niederlage von Bibrakte im
Jahre 58 v. Chr. sind somit kaum Leute aus unserer Gegend dabei
gewesen.“
Denkt man an die Funde in La Tène
am Ufer des Neuenburgersees, wovon die jüngsten aus dem ersten Jh. v.
Chr. stammen, so kann man nicht behaupten, die Kelten hätten die
Seeufer prinzipiell gemieden. Kläuis Aussage „Es scheint also, dass
das Gebiet von Uster in der Zeit, da die keltischen Helvetier im
schweizerischen Mittelland wohnten, nicht oder nur ganz spärlich
besiedelt gewesen ist.“ ist nicht bewiesen. Das Fehlen an Funden
schliesst nicht von Anfang an aus, dass auf dem Boden der Gemeinde
Uster Kelten lebten, zumal neue Funde immer wieder zu Überraschungen
führen. Um sicher zu sein, müsste man das ganze Gemeindegebiet
systematisch ausgraben. Es kann durchaus sein, dass gerade der
markante Hügel der Burg Uster und sein Ausläufer ältere
Siedlungsspuren im Boden verbergen. – Kläuis Theorie, dass der
Siedlungskern Usters in Oberuster und eben nicht auf der Burg zu
suchen sei, lässt sich nicht beweisen. – Es dauerte ja auch in Zürich
lange, bis eine keltische Präsenz archäologisch bewiesen werden
konnte, obwohl sie alles als andere als unlogisch war.
Kurz und bündig zusammengefasst:
Wir haben noch kaum Zeugnisse vom keltischne Uster. Bereits Kläui
erging es so.
Die
römische Zeit – Kläui bleibt genau und gleichsam tendenziös.
Kläui nennt für die römische
Epoche – seiner Treue zum Detail entsprechend – wohl alle ihm
bekannten römischen Funde auf dem Boden der Gemeinde Uster. Dabei
handelt es sich um Münzen, Tonscherben, Alltagsgegenstände etc. Beim
ersten heute noch bekannten Fund handelt es sich um eine 1694
entdeckte „14 cm hohe, zierliche Bronzestatuette eines Merkurs.“ Von
Bedeutung sind für Kläui vor allem die römischen Fundkomplexe in
Nänikon auf dem Bühl und in Riedikon, welche landwirtschaftlichen
Gutsbetrieben grossen Stils (villa
rustica) zugeordnet wurden. Solche römischen Villen hat man z.
B. in Seeb und in Dietikon bereits erforscht.[1]
Leider konnten diese 1964 vorliegenden Ergebnisse mangels neuerer,
umfassender Grabungen nicht ergänzt und verifiziert werden. Jedenfalls
hat man bei der Ausgrabung der aus dem Mittelalter stammenden Burg und
Kapelle auf dem Bühl keine grösseren römischen Funde gemacht:
„Römische Gebäude (von einem Gutshof?) auf dem Bühl sind aber
weiterhin nicht gänzlich auszuschliessen.“[2]
Ebenso kann die von Kläui als Hypothese vorgeschlagene Namensableitung
der vielleicht „bedeutensten Villa“ im Wil nicht nachgewiesen werden.
Er leitete diese Villa vom Namen Wil (= lat. villa)
ab, aber im Gegenteil dürfte der Name „das Wil“ dürfte nicht direkt
auf das lateinische villa
zurückzuführen, sondern germanischen Ursprungs sein.
Das nächst gelegene grössere
römische Gebäude ist das Kastell von Irgenhausen. Grössere römische
Orte (inkl. Kastelle) finden wir in der weiteren Gegend in Winterthur
und Zürich. Auf dem Boden der heutigen Schweiz wimmelt es nur so von
kleineren und grösseren römischen Siedlungen (Städte, Dörfer (vici),
Kastelle, römische Legionslager, Villen etc.). Stellvertretend seien
die römischen Städte Aventicum (Avenches VD), Augusta Raurica (Augst
BL), Vindonissa (Windisch AG) und Octodurus (Martigny VS) genannt.
Kläui liefert alles in allem
Funde, welche die römische Besiedlung Usters vom ausgehenden 1. Jh.
bis ins frühe 4. Jahrhundert belegen. Nach Kläui – Diese Ergebnisse
sind überholt. – war diese Besiedlung nicht ohne Bedeutung, da er die
Überreste von zwei römischen Villen zu nennen weiss. Dennoch spielt
Kläui deren Wichtigkeit herunter. Für ihn ist die römische Epoche
Usters eine kurze Episode (100–300 n. Chr.). So eröffnet Kläui sein
Kapitel zur Römerzeit folgendermassen: „Auch unter den Römern, die
nach ihrem Sieg bei Bibrakte ins Land kamen, scheint unser Gebiet am
Rande bewohnter Landschaften gelegen zu haben.“[3]
Um dies zu unterstreichen betont Kläui die römische Verkehrsachse
Winterthur-Irgenhausen-Kempten-Kempraten-Walensee-Bündnerland. Da
Uster nicht an dieser Achse lag, war die Gegend von Uster für die
Menschen der Römerzeit ohne Bedeutung.
Auszug
aus
Kläui, Uster, S. 20:
„Im
Gegensatz
zum Gebiet des Pfäffikersees blieb der Greifensee von den Römern
offensichtlich wenig beachtet, und auch ihre militärischen
Maßnahmen nach dem Alemanneneinfall von 259, als der Rhein wieder
Grenze des Reiches wurde, berührten Uster nicht, während am
Pfäffikersee drüben die Strasse durch den Bau des Kastells
Cambiodunum in Irgenhausen gesichert wurde. Immerhin ging das
Leben, wie die Villen in Nänikon und Riedikon beweisen, eine Zeit
lang weiter. Für das spätere 4. Jahrhundert fehlt jeder Beleg für
die Anwesenheit der Römer, so dass wir uns die Gegend von Uster
bis zur Einwanderung der Alemannen als eine fast menschenleere,
auf den Höhen bewaldete, an See und Bächen unwirtliche, versumpfte
Gegend vorstellen müssen.“
Mit dieser Erklärung widerspricht
sich Kläui selbst. Die drei von ihm postulierten römischen Villen
beweisen im Gegenteil, dass auch jene Gegenden, welche nicht
unmittelbar an der – übrigens nicht unweiten – Verkehrsachse lagen,
besiedelt waren. Ebenso leugnet Kläui –mangels Funden –
fälschlicherweise die Möglichkeit, ja die grosse Wahrscheinlichkeit,
einer Besiedlung des heutigen Gemeindebodens vor dem Jahre 100 und im
ausgehenden 4. Jh.
So wie Kläui keine keltischen
Siedler vor den Römern in Uster sehen will, will er nur eine kurze
römische Episode akzeptieren, im Sinne einer kurzen Zeit, in der Uster
überhaupt besiedelt war. So wie in Bibrakte kaum Helvetier aus einer
menschenleeren Gegend wie Uster gekämpft haben konnten, war Uster ab
dem endenden vierten Jahrhundert laut Kläui wiederum tiefste Wildnis,
wo kein Mensch zu finden war. Dies wird mit dem Schluss des Kapitels
zu den Römer deutlich: „Für das spätere 4. Jahrhundert fehlt jeder
Beleg für die Anwesenheit der Römer, so dass wir uns die Gegend von
Uster bis zur Einwanderung der Alemannen als eine fast menschenleere,
auf den Höhen bewaldete, an See und Bächen unwirtliche, versumpfte
Gegend vorstellen müssen.“[4]
Das nächste Kapitel in Kläuis Werk
hat den bezeichnenden Titel „Die Besiedlung der Mark Uster.“ Damit ist
auch gesagt, welcher Grundgedanke Kläuis tendenziöser
Geschichtsschreibung zugrunde liegt: Uster wurde erst von den
Alemannen besiedelt. Uster hat einen alemannischen, aber keinen
keltischen oder römischen Ursprung. Darum muss Kläui mögliche frühere
Siedler in Uster verleugnen oder herunterspielen. Ein solcher
Grundgedanke, war in der Mitte des 20. Jh.s nicht ungewöhnlich,
sondern entsprach der gängigen Art Geschichte zu betreiben und
Theorien zu bilden. Es passte zur Vorstellung, die heutigen Schweizer
entweder auf die Alemannen oder auf die Kelten zurückzuführen, jedoch
weniger auf die Römer, deren Zivilisation unterging, nachdem sie wegen
den „Barbareneinfällen“ abgezogen waren. Solche Grundannahmen und die
darauf beruhenden Theorien sind zu einfach und heute nicht mehr
anerkannt. Wir wissen nun, dass das Ende der römischen Zeit nicht der
Untergang einer Zivilisation war, sondern deren Wandel.
Die
Einwanderung der Alemannen – Kläuis Theorie / Konstrukt
Kläui entwickelte 1964 eine Theorie zur alemannischen Besiedlung und zur Entstehung der heutigen Dörfer Usters.[5] Seine mit Sorgfalt entwickelte Theorie ist jedoch letztendlich nur ein Konstrukt. Dieses fusst auf den wenigen Informationen, welche Kläui für die quellenarme Zeit von 500 bis 750 benutzen konnte, auf seiner weiter oben geschilderten Annahme einer menschenleeren Gegend am Ende der römischen Epoche, auf seine ebenso trügerische Annahme, dass die Siedlungsstruktur des 14./ 15. Jh.s das unveränderte Produkt der alemannischen Einwanderung darstelle, auf die Namensforschung und auf nicht zwingende Schlüsse aus den geographischen Gegebenheiten. Kläuis Theorie lässt sich folgendermassen zusammenfassen:
Schematische Darstellung Kläuis anschaulichen, aber überholten Theorie zur Siedlungsentwicklung von Uster. (25 Besiedlungslinien Kopie.jpg) |
Kläuis alemannische Besiedlung geht
– mangels Schriftquellen sich auf die Namensforschung und die Zustände
des 14./15. Jh.s stützend – von zwei „Ursiedlungen“ aus: Oberuster und
Hegnau. Von diesen beiden Ortschaften aus seien die weiteren Dörfer der
heutigen Gemeinde Uster gegründet worden. Das Wil, wo er einen römischen
Gutshof vermutet, zählt Kläui auch zu den ältesten Siedlungen,
betrachtet es jedoch nicht als Ausgangspunkt für die weitere Besiedlung.
Ebenso zählt er Fehraltorf (lange nur: Altdorf), welches die Alemannen
einfach das alte Dorf genannt hätten, zu den alten Ortschaften.
Dann gliedert Kläui die einzelnen
Orte in zwei Gruppen: 1. Die Gruppe mit der Endung -ikon (ursprünglich
inghofen) für die Besiedlung der 1. Hälfte des 7. Jh.s und 2. die Gruppe
mit der Endung -wil für die Besiedlung der zweiten Hälfte des 7. und des
beginnenden 8. Jh.s. Gemäss dieser Einordnung bestimmt nun Kläui nach
geographischen Gesichtspunkten die Gründung der neuen Siedlungen.
Ausgangspunkt für die neuen Dörfer sind die beiden Ursiedlungen
Oberuster und Hegnau: Der Wald wird immer weiter gerodet; damit
einhergehend entstehen neue Siedlungen (Vgl. dazu den unten abgebildeten
Plan!). Diese Siedlungen seien gemäss der Namensforschung nach dem
Dorfgründer benannt worden (Freudwil = der Weiler des Frido, Winikon =
Hof der Leute des Wino).
Die „Ursiedlung“ Oberuster entstand
gemäss Kläui etwa in der zweiten Hälfte des 6. Jh.s, als die
„römisch-keltischen Siedlungen an der Hauptstraße bereits besetzt waren
und die nachfolgenden Alemannen nach weiteren Siedlungsplätzen Ausschau
halten mußten.“[6]
Dass Oberuster die älteste Siedlung sei, erklärt Kläui sowohl anhand des
Ortsbildes, aus dem er bei der Mühle den Kern Usters festlegt, als auch
aus geographischen Überlegungen heraus. Oberuster liegt nämlich äusserst
günstig am Aabach: am Wasser und an einer Stelle, wo der Bach noch
genügend Gefälle aufweist, um das Dorf nicht zu gefährden.
Kläuis Theorie geht schon nur
deswegen nicht auf, weil die von ihm behauptete Menschenleere vor der
Alemanneneinwanderung nicht nachweisbar ist (und vielmehr dem Reich der
Phantasie als der Wissenschaft angehört). Seine weiteren Überlegungen
zielen letztendlich auf eine Theorie der linearen Siedlungsentwicklung
hin, welche Laien auf dem Plan in Kläuis Buch nachverfolgen können.
Die Grundannahme, dass der Mensch im
„Urwald“ von einem ursprünglichen Siedlungszentrum bei steigernder
Bevölkerung einfach neue Dörfer gründet und zu diesem Zwecke weiter und
weiter Wald rodet, ist nachzuvollziehen, aber nicht vertretbar, da sie
alle anderen Möglichkeiten ausschliesst. Der Mensch kann aus
verschiedensten Gründen Wald roden und den Wald wieder wachsen lassen.
Siedlungen werden nicht nur gegründet, sondern auch verschoben oder
aufgeben. Die Siedlungsstruktur hat sich immer wieder verändert, ebenso
die Nutzung des Landes (Wald, Wiesen, Äcker etc.). Erst heutzutage sind
die Waldflächen (fast) unveränderlich. Sie werden per Gesetz erhalten;
der Kahlschlag in grösserem Umfange ist verboten.
Zudem ist das Verhalten des Menschen
nicht aus den geographischen Gegebenheiten abzuleiten (geographischer
Determinismus). Schon immer gab es einen sozialen und einen politischen
Rahmen, der ein gewisses Handeln ermöglichte (oder umgekehrt
verunmöglichte). Wer über ein grösseres Stück Land verfügt, muss nicht
per se einer Dorfgründung zustimmen. Auch heute können sich Leute nicht
einfach zusammentun, Land kaufen und eine neue Gemeinde gründen.
Wer Kläuis These auf dem Plan
nachvollzieht, bemerkt auch, dass es keinen Grund dafür gibt,
anzunehmen, dass man Wermatswil anstatt von Uster von Freudwil aus
gegründet haben könnte. Ebenso gibt es keinen Anlass zu glauben, dass
Gutenswil jünger als Volketswil sein muss.
Nicht zuletzt ist auf die
Unmöglichkeit eines sicheren Rückschlusses von der Siedlungsstruktur des
14./15. Jh.s auf die Ursprünge eines Ortes hinzuweisen. Denkt man daran,
dass in Uster der mittelalterliche Turm des heutigen Schlosses das
älteste bekannte Gebäude darstellt und auch aus der Zeit des Burgturmes
kein Bauernhaus erhalten geblieben ist, so muss man akzeptieren, dass
man eigentlich (fast) nichts über die Siedlungsstruktur Usters vor dem
14. Jh. weiss: Wir wissen nicht, wie sich der Ort Uster im Jahre 775
präsentierte. Wir wissen nur, dass er schon existierte. Dasselbe gilt
auch für die späteren Erwähnungen. Trotz aller Unsicherheit ist im
Gegensatz zu Kläui anzunehmen, dass sich die Orte Kirch-, Ober- und
Niederuster erst im 13./15 Jh. aus einer früheren Siedlungsstruktur
(Streusiedlung, ein einziges Dorf etc.?) herauskristallisiert haben,
indem sich die frühere Siedlung Uster um den Besitz dreier verschiedener
Herrschaften oder Grundeigentümer neu formierte und so zur Herausbildung
von drei, voneinander klar getrennten Dörfern führte.(?)
Kläui hat auch die Namenforschung
überstrapaziert. Die Siedlungsnamen der Gemeinde Uster sind – ausser
Uster selbst – alle germanischen Ursprungs. Dies bedeutet jedoch nicht,
dass es nicht schon früher Siedlungen auf dem heutigen Gemeindeboden
gab. Ebenso weist der aus einem Personennamen gebildete Ortsname nicht
zwingend auf den Gründer eines Dorfes hin.
Ein Beispiel: Nänikon wird von der
aktuellen Sprachforschung als 'bei
den
Höfen der Leute des Nanzo/Nan(n)o' und Freudwil als 'Hofsiedlung des Frido' gedeutet.
Dies bedeutet, dass es einst eine wichtige Person bei diesen Höfen resp.
in der Hofsiedlung gab (oder schon nur, dass man sich an eine solche
Person erinnern wollte). Nichts beweist, dass diese Person der
Dorfgründer war und dass die Orte nicht mehrmals den Namen gewechselt
haben könnten. Solange ein Name verständlich ist, kann er viel einfacher
umgedeutet und verändert werden, als wenn seine Bedeutung im Dunkeln
bleibt. Erfinden wir den Ulrichshof und nehmen wir Ulrich als Bewohner
des Hofes an, so können wir durchaus nach dem Tode Ulrichs den Hof nach
seinem neuen Bewohner Heinrich Heinrichshof nennen. Verstehen wir jedoch
den Namen Nänikon nicht, so erlischt die Möglichkeit den Ortsnamen als
unzutreffend zu empfinden und nach aktuellen Gegebenheiten zu ändern.
Kläuis Theorie kann man – nicht
zuletzt dank den neuen Erkenntnissen der Archäologie und dem
sorgfältigeren Studium der Schriftquellen – ein neues Bild
entgegensetzen.
Über die Alemannen weiss man nun,
vor allem wegen neueren archäologischen Forschungen, bedeutend mehr als
1964. Dennoch besitzt man kaum konkrete Informationen zur eigentlichen
Einwanderung und zur Siedlungsstruktur der Alemannen, denn es wurden nur
wenige Siedlungen dieser Zeit ausgegraben. Dies dürfte damit
zusammenhängen, dass die Alemannen vorwiegend Holz als Baumaterial
gebrauchten. Der Archäologe kann von längst untergegangenen Holzbauten
allenfalls Pfostenlöcher und Holzreste feststellen. Doch überall dort,
wo ab dem Hochmittelalter Steinbauten und ab dem 20. Jh. Betongebäude
entstanden sind, werden die Spuren älterer Holzbauten massiv gestört.
Deswegen liefern vor allem abgegangene frühmittelalterliche Dörfer auf
heute unbebautem Terrain interessante Informationen zu den Alemannen.
Der Erforschung von Gräbern kommt ebenso eine grosse Bedeutung zu, da
Gräber zum Teil noch heute ausserhalb der bebauten Gebiete liegen und
deswegen bis in unsere Zeit unberührt geblieben sind.
Die nicht ganz einfache Erforschung
der alemannischen Bevölkerungsgruppen wurde zudem dadurch gestört, dass
man die Alemannen zur Festigung der Identität des jungen Bundesstaates
ab 1848 als Träger einer uralten Freiheit und Demokratie interpretierte.
– Ähnlich war es übrigens mit den Kelten. – Deswegen hat man nach
alemannischen Funden gesucht und diese auch gefunden. Erst die moderne
Archäologie ist zum Schluss gekommen, dass es grundsätzlich germanisches
Fundmaterial gibt, welches sich klar von den Objekten der Romanen
unterscheidet, aber dass es sich keinen bestimmten germanischen
Volksgruppen (Franken, Alemannen, Burgunder etc.) zuordnen lässt.
Grabbeigaben gibt es bis in die Zeit um 700. Danach versiegt diese
Quelle. Germanen sind deshalb in unseren Gebieten festzustellen, aber
nicht per se Alemannen, insbesondere auch deshalb, weil man in unserer
Gegend auch mit Franken rechnen muss.
Es ist an der Zeit Kläuis
Vorstellungen ein neues Bild über die alemannische Einwanderung
entgegenzusetzen. Die Überlegungen der Archäologen ermöglichen es, die
Ankunft der Alemannen einiges später anzusetzen: Die germanischen Gräber
im 6. Jh. sind primär den Franken zuzuordnen. Die Einwanderung der
Alemannen fand im 7. Jahrhundert statt.
Wichtig ist der Rahmen dieser
Einwanderung. Das römische Reich ist nach dem Abzug der römischen
Truppen 401/2 von der Rheingrenze weder – wie man lange geglaubt hat –
von alemannischen Einwandern überflutet worden, noch ist es 476 – als
der junge römische Kaiser Romulus Augustulus durch den „Barbarenfürsten“
und römischen Offizier Odoaker abgesetzt wurde – einfach in sich
zusammengebrochen. Nach 476 ist „nur“ das Faktum prägend, dass es in Rom
keine Kaiser mehr gab. – Der Kaiser des oströmischen Reiches verblieb
hingegen bis 1453 in Konstantinopel / Istanbul. – Das Ausscheiden des
Staatsoberhaupts in Westrom hat den Zusammenhalt des Reiches
verunmöglicht, aber nicht das Reich von einem Tage zum anderen zerstört,
um von radikal andersartigen Barbarenreichen ersetzt zu werden. Alles in
allem hat sich das römische Reich gewandelt. Aus diesem Wandel heraus
sind neue Reiche entstanden.
Die „Barbaren“ (Franken, Burgunder,
Goten etc.) sind schon lange vor 476 immer wieder als römische Legionäre
eingesetzt worden. Ihre Könige waren zugleich römische Generäle. Diese
Generäle haben sich mit der Zeit in Teilbereichen des römischen Reiches
selbständig gemacht, jedoch zum Teil noch lange die Oberhoheit des
byzantinischen (oströmischen) Kaisers in Konstantinopel anerkannt.
Ein Beispiel: Als die geschlagenen
Burgunder 443 in die Sapaudia
– ein Gebiet um den Genfersee, dessen Name im heutigen Savoyen/Savoie
weiterlebt – angesiedelt wurden, um das römische Reich zu verteidigen,
haben sich die zahlenmässig unterlegenen Burgunder rasch der romanischen
Bevölkerung assimiliert. Sie haben die spätlateinische Sprache
übernommen, die römische Verwaltung weitergeführt und die römische
Infrastruktur genutzt. Sie bildeten vor allem eine neue Oberschicht. Als
die römische Zentralmacht ausschied hat der König der Burgunder, die ihm
unterstellten Provinzen und Städte ganz einfach weitergeführt. Ebenso
haben die Franken, welche das Gebiet der Stadt Tournai verwalteten, und
die Goten (Ostgoten: Italien – Westgoten: Spanien) römische Strukturen
weiterregiert. Der fränkische König Chlodwig I. wurde 508 vom
oströmischen Kaiser zum römischen Konsul ernannt. Die Bande zum
oströmischen Reich löste sich also nur langsam. Erst mit dem 800 zum
Kaiser gekrönten Karl dem Grossen wurde diese Bande definitiv gelöst.
Unsere Gegend ist – nach einer
kurzen (nur formellen?) Herrschaft der Ostgoten ab 493 – 536/37 unter
die Herrschaft des von der Merowingerdynastie geführten Frankenreiches
gekommen. Zur Verwaltung unseres Gebiets schickten die Merowingerkönige
Mitglieder der fränkischen Oberschicht. Es sind vor allem diese
Mitglieder der fränkischen Oberschicht in den germanischen Gräbern des
6. Jh.s zu suchen. Die Rheingrenze des römischen Reiches bestand bis in
die Zeit um 500 fort, auch wenn es immer wieder zu Überfällen der
nördlich des Rheines hausenden Alemannenfürsten gekommen war. Doch damit
war ab 496/97 resp. 506 Schluss, als die Alemannen von den Franken
vernichtend geschlagen wurden und in deren Reich einverleibt wurden.
Somit hatten die Franken (ab 536/37) nicht nur die Alemannen, sondern
auch das Gebiet nördlich von Rhein und Bodensee unter ihrer Kontrolle:
Die Rheingrenze war nun eine natürliche Grenze innerhalb des
Frankenreiches.[7]
Die alemannische Einwanderung war
kein kriegerischer Eroberungszug: Das auf römische Strukturen beruhende
Frankenreich liess im Laufe des 7. Jh.s die Alemannen kontrolliert über
den Rhein, was nun dadurch zum Ausdruck kommt, dass wir südlich des
Rheines sowohl Gräber der germanischen Oberschicht, als auch der
Unterschicht finden. Bezeichnenderweise wurde wahrscheinlich kurz vor
600 das Bistum Konstanz gegründet, welches sowohl Gebiete südlich, als
auch solche nördlich des Rheins umfasste. Die Bistumsgründung zeigt,
dass die Gebiete im Süden und Norden des Rheines nun als Einheit
betrachtet werden sollten. In dieser Zeit war das Heidentum in gewissen
Bereichen wieder aufgekommen. – Oder waren die alten Götter nie ganz
verschwunden? – Mit der Gründung des Bistums Konstanz war der Grundstein
für die definitive Christianisierung unserer Bevölkerung gesetzt.
Die unter Merowingerherrschaft
stehenden Alemannen sind ab ca. 600 über den Rhein gekommen. Damit
begann ein Assimilierungsprozess, der zur Verschmelzung der
alteingesessenen Romanen und der neu angesiedelten Alemannen führte.
Dabei haben die Romanen nach und nach die Sprache der Alemannen
übernommen. Dabei dürfte es sich wohl um die grösste Veränderung
handeln, welche die alemannischen Einwanderer hervorgerufen haben. Die
Alemannen dürften auf der anderen Seite nicht wenige Gewohnheiten,
Techniken und Kulturgegenstände der Romanen übernommen und selbst ausser
der Sprache weitere Elemente ihrer Kultur weitergegeben haben.
Man geht davon aus, dass der
Assimilierungsprozess um 700 beendet war. Als im 8. Jh. Riedikon,
Nänikon und Uster in lateinischen Urkunden als germanische Namen genannt
werden, haben wir den Beweis dafür, dass die romanische Sprache in der
Gegend um Uster in dieser Zeit schon verdrängt war. Wir wissen ebenso,
dass mindestens die drei Ortschaften Riedikon, Nänikon und Uster – in
welcher Siedlungsform auch immer – schon existierten (und dass sie ihren
– damals schon nicht mehr verständlichen? – Namen beibehielten). Was die
Alemannen in Uster vorgefunden hatten und wie sie sich organisierten
(resp. organisieren durften), ist hingegen kaum auszumachen, falls nicht
in Zukunft überraschende Funde zum Vorschein kommen. Wir wissen nur,
dass der Assimilierungsprozess der Alemannen wegen der merowingischen
Herrschaft mehrheitlich friedlich erfolgt sein muss. Denn es spricht
kein schriftliches Zeugnis von einem grösseren Konflikt, so wie die
Sprachgrenze zwischen Romanen und Alemannen im Mittelalter wenn
überhaupt nur wegen den verschiedenen Sprachen (Unterscheidung beider
Bevölkerungsgruppen, Verständnis- und Ausspracheprobleme) angedeutet
wird, aber keine besonderen Konflikten und Gräben zu schaffen scheint.
Grössere Konflikte entstanden vor allem in und wegen der Oberschicht
resp. des Adels, was vielmehr mit Politik und wirtschaftlichen
Interessen zu tun hatte als mit sprachlichen Differenzen. Dennoch wäre
es spannend, wenn wir mehr über die Einwanderung der Alemannen und den
darauf folgenden Assimilierungsprozess erfahren könnten.
Literatur
Die Schweiz zwischen Antike und
Mittelalter. Archäologie und Geschichte des 4. bis 9. Jahrhunderts,
Zürich 1996, insbesondere Seiten 47–52 und 146–163.
Die Alemannen, Stuttgart 1997, S.
261–68.
Geschichte des Kantons Zürich. Bd. 1
Frühzeit bis Mittelalter, Zürich 1995, S. 113–127.
Kläui, Paul: Geschichte der Gemeinde
Uster, Zürich 1964, S. 13–26.
[1]
Vgl. http://www.archaeologie.zh.ch/internet/bd/arv/kaz/de/Download.html
unter „Römische Epoche“.
[2]
Burg – Kapelle – Friedhof, S. 12.
[3]
Kläui, Uster, S. 19.
[4]
Kläui, Uster, S. 20.
[5]
Kläui, Uster, S. 20–26,
mit dem Titel „Die Besiedlung der Mark Uster“.
[6]
Kläui, Uster, S. 22.
[7]
Wie der aufmerksame Leser gemerkt hat, bildete der Rhein von ca.
493–506 die Grenze zwischen Alemannen (im Norden) und Ostgoten (im
Süden) und von 506–536/37 die Grenze zwischen Franken (im nun
eroberten alemannischen Gebiet) und Ostgoten. Es ist fraglich, ob
der Forscher viel mehr als diesen Grenzverlauf in Erfahrung bringen
kann. Über die kurze Ostgotische Herrschaft ist vermutlich kaum
etwas in Erfahrung zu bringen.