Von der Frühzeit bis zur Besiedlung durch die Alemannen –
Alte und neue Forschung
Fabrice Burlet
Auch
die Forschung hat eine Geschichte
Die Erforschung unserer
Vergangenheit macht kontinuierlich Fortschritte und verfeinert sich
immer mehr. Jede Generation stellt neue Fragen an die Geschichte. Durch
deren Beantwortung kommt die Forschung weiter. Demnach besitzt auch die
Forschung eine Geschichte, welche man sich vereinfacht folgendermassen
vorstellen kann.
Das 19. Jh. war die Zeit, in der
Pioniere alte Archive durchwühlten und alte Schriftstücke in Büchern
publizierten (Geschichtswissenschaft). Ebenfalls im 19. Jh. fanden die
ersten wissenschaftlichen Ausgrabungen von „Altertümern“ statt
(Archäologie).
Die Urkunden und Dokumente wurden
durch die Erstellung von Archivverzeichnissen erschlossen und in
Buchform (Editionen) in zahlreichen Bibliotheken zugänglich gemacht.
Dennoch gelangte das Gros der Archivbestände nur als Zusammenfassung –
als sogenannte Regesten – in gedruckte Bücher oder wurde gar nicht erst
gedruckt, wodurch sie nur im jeweiligen Archivverzeichnis an Ort und
Stelle eruierbar sind. Wäre dieser Arbeitsschritt nie vollbracht worden,
wüsste der Historiker nicht, was in einem Archiv alles zu finden ist. –
Für den Kanton Zürich wurden die meisten Schriftstücke bis 1336
gedruckt. Danach findet man die wenigsten Schriftstücke in einem Buch.
Hingegen sind die Urkunden des Staatsarchivs Zürich bis ins 15. Jh. in
gedruckten Büchern zusammengefasst (Regesten). – Die Archäologie musste
sich ihrerseits darüber klar werden, was man alles im Boden aufdecken
könnte und wie man den Funden umgehen sollte. Unter diesen Pionieren
sind z.B. Georg Friedrich von Wyss (Geschichte) und Ferdinand Keller
(Archäologie) zu nennen.
Das 19. Jh. war vor allem eine Zeit
des Sammelns, Entdeckens und Zusammenstellens von alten Dokumenten,
Gegenständen etc. sowie des Aufsuchens und Beschreibens von alten
Bauten, Ruinen etc. Man fragte sich, wie man die Relikte früherer Zeiten
verstehen und zu einer Geschichte zusammenbringen sollte. Nach der Zeit
der Entdeckungspioniere des 19. Jh. folgte – ohne abrupten Bruch,
sondern mit fliessendem Übergang – eine erste Phase des
Geschichtsschreibens und des Versuchs die Geschichte wissenschaftlich zu
erforschen. Dieser Abschnitt war so etwas wie eine Zeit des
Ausprobierens und der Entwicklung von Theorien. Es war die Pionierphase
der modernen Geschichtsforschung. Damals – insofern man frühere Pioniere
ausser Acht lässt – wurden die Schriftquellen zum ersten Mal zu einem
bestimmten Thema befragt und daraus erste Erkenntnisse gewonnen. Zu
dieser Phase kann man auch Paul Kläuis Buch zur Geschichte der Gemeinde
Uster zählen (1964).
Die dritte Phase ist die weitere
Auseinandersetzung und die Hinterfragung der bisherigen Theorien und
Ideen. Dabei wurden nicht nur neue Fragen an die Geschichte gestellt und
neue Ideen aufgegriffen, sondern auch alte Theorie-Gebäude hinterfragt
und zum Teil widerlegt. So hat sich neuerdings das schweizerische
Geschichtsbild der Habsburger geändert. Bis anhin galten sie im
Gegensatz zu den "guten", für ihre Freiheit kämpfenden Eidgenossen als
böse Menschen. Nur in Muri, wo ihr altes Hauskloster steht, und in
Habsburg selbst wurde die Dynastie wohlwollend akzeptiert. Diese
Auffassung hat sich geändert: Ein neues Buch zu den Habsburgern als
Dynastie aus der Schweiz und ein weiteres mit dem Titel „Gründungszeit
ohne Eidgenossen“ finden nun grossen Anklang bei den Lesern.
Ebenso wurden ein Teil der Theorien
Paul Kläuis zu Uster und der Ostschweiz widerlegt. Paul Kläui hatte 1964
– vor also bald 50 Jahren – eine gründliche Ortsgeschichte Usters
vorgelegt. Sie bildet dank ihrer Gründlichkeit und Detailfülle immer
noch eine sehr gute Grundlage für neue Forschungen. Hingegen gelten ein
Teil der Schlüsse und Theorien Kläuis als überholt. Dies gilt
insbesondere für die quellenarme Zeit vor dem Spätmittelalter. Die dünne
Quellenbasis überbrückte Kläui mit Theorien, die zu seiner Zeit
womöglich als genial angesehen wurden, heute jedoch durch die ihr zu
Grunde liegenden simplifizierenden Annahmen als falsch betrachtet werden
müssen. Der Anerkennung der damaligen Leistung Kläuis wird dadurch
jedoch kaum einen Abbruch gemacht, insofern der Forscher die nun
überholten Ideen stets im Auge behält.
Die Frühzeit von Uster wird im
Folgenden kurz geschildert und zwar im Vergleich zu den von Kläui
dargelegten Ergebnissen. Dabei soll dem Leser vor Augen geführt werden,
wie sich die Geschichtsschreibung in rund 50 Jahren wandeln kann.
Erst eine weitere
Historiker-Generation wird feststellen können, welche Dinge, die für uns
heute normal sind, später nicht mehr als Normalität betrachtet werden.
Werte und Vorstellungen ändern sich. Eine Generation lebt mit ihren
Werten und Vorstellungen, die nächste Generation erkennt diese als
nicht-zwingende Annahmen und stellt sie in Frage.